Guten Morgen.
Es ist noch früh am Tag, aber es ist gleichzeitig schon sehr spät.
Jetzt, wo die Beschneidungsdebatte in Deutschland eigentlich gerade begonnen hat, soll sie schon wieder zuende sein. Und jetzt, kurz vor Toresschluss, darf ich zumindest zu Ihnen hier doch noch sprechen. Dafür danke ich Ihnen.
Ich bin einer von sehr vielen negativ von ihrer Zwangsbeschneidung Betroffenen. Nur wenige haben den Mut darüber zu sprechen, ich habe dieses Jahr den Mut gefasst, über mein Leid zu sprechen - leicht fällt es aber auch mir nicht.
Ich möchte Ihnen vom Leid und vom Schmerz berichten, den so viele schon erdulden mussten und in Zukunft weiter erdulden sollen. Denn in ein paar Stunden schon wird der deutsche Bundestag beschließen, dass es ab jetzt legal sein soll, den Penis des eigenen Sohnes zu häuten, weil es von einem Gott gefordert wird, weil man es schon immer so gemacht hat, oder weil die Eltern es aus irgendwelchen Gründen einfach besser finden. Viele Menschen nennen es verharmlosend Beschneidung. Die Betroffenen nennen es Vorhautamputation, Genitalverstümmelung.
Ich wurde mit sechs Jahren aus religiösen Gründen beschnitten. Es war nicht meine Entscheidung. Man fragte mich nicht. Meine Eltern forderten, die Ärzte kassierten und taten ihr Werk. Es gab angeblich keine Komplikationen. Alle um mich herum waren sehr zufrieden. Meine Verstümmelung verlief in ihren Augen reibungslos. Was blieb, war das Leid. Mein Leid.
So schlimm sah mein Penis nach der Operation aus, ich hätte ihn fast nicht wieder erkannt. Es brannte wie Feuer. Wärend die Erwachsenen sich gegenseitig für die so gut verlaufene Operation gratulierten, weinte ich. Nicht in meinen schlimmsten Albträumen hatte ich erwartet, was passiert ist. Ich folgte aus Liebe, aus Vertrauen, als meine Eltern sagten: "`Komm!"' und erntete Schmerz.
Die Vorstellung der leichtesten Berührung erfüllte mich mit Panik. Ich hatte Angst, mich zuzudecken, aufs Klo zu gehen oder zu baden. Meine Eltern trösteten mich, doch es half nichts.
Irgendwann verging der Schmerz. Das Leid blieb. Es kam in anderer Form. Scham. Angst. Ich schämte mich. Die anderen Jungs waren noch normal. Ich war anders, ich war hässlich, ich bin hässlich. Dort unten. Meine Eltern haben mich hässlich gemacht.
In der Umkleide beim Sport verbarg ich mich so gut wie möglich. Immer als erstes musste ich in die Umkleide rennen, um den Platz in der Ecke zu bekommen. Niemals durfte ich mich ausziehen. Niemand durfte wissen, dass ich anders bin.
Heute weiß ich, dass ich nicht ausgelacht würde, das "`nicht nackt sein dürfen"' brannte sich jedoch so in meinen Verstand ein, dass ich es bis heute nicht überwinden kann. Ich ziehe mich vor Fremden aus, wenn es sein muss, vor Frauen, Ärzten, in der Toilette - aber ich hasse es. Jedes Mal. Ich habe Angst. Immer noch. Immer wieder.
Niemals habe ich mit Freunden über meine Beschneidung geredet. "`Mein Vater ist halt Muslim"' reicht als Begründung immer aus. Deshalb wusste ich bis vor kurzem fast nichts darüber, wie es ist, normal zu sein. Wie es ist, wenn man sich anfasst, wenn man sich liebt. Diesen Samstag habe ich erfahren, dass es nicht normal ist, beim Pinkeln den Urin mit Kraft heraus drücken zu müssen. Mit 23 Jahren erfahre ich, dass die Eichel eigentlich viel empfindlicher sein sollte; erfahre ich, wie unbeschnittene Männer masturbieren oder dass die Harnröhrenöffnung eigentlich ein Schlitz ist, kein Punkt. Woher sollte ich es auch wissen?
Erst mit Beginn der Debatte, in der ich mich über die Beschneidung informierte, wurde mir bewusst, was man mir genommen hatte. Die Berichte anderer Beschnittener, ihr Unglück, ihre Probleme ... sie deckten sich immer mit meinen. Zum ersten Mal fühle ich mich nicht wie ein Freak, der einzige Beschnittene weltweit, der unglücklich ist. Es gibt andere, es sind viele.
Die für mich größte Einschränkung, die durch die Amputation der Vorhaut entsteht, ist der Verlust der sexuellen Empfindsamkeit. Das ist es, was mich auf ewig verfolgen wird. Viele im Erwachsenenalter Beschnittene berichten ebenfalls von diesen Einschränkungen. Der Aufklärungsbogen zur Zirkumzision bei eine Phimose sagt dazu auch: "`Keine Komplikation, sondern die notwendige Folge einer kompletten Beschneidung ist die bleibende Beeinträchtigung der Gefühlsempfindung beim Geschlechtsverkehr"'. Rühmen sich viele junge Männer vielleicht noch, dass sie "`länger können"' als andere, so ist vielen vielleicht nicht klar, dass dies mit einem enormen Verlust an Empfindsamkeit einhergeht. Diese Gefühlslosigkeit führt bei nicht wenigen Männern später bis zur Impotenz, eine Sorge, die auch mich verfolgt.
Meine Geschichte ist zu Ende. Aber nicht mein Leid. Nichts kann den Schaden rückgängig machen oder wieder gutmachen, was mir angetan wurde. Meine Mutter lernt dies im Moment. Sie bereut sehr, den Lügen der Befürworter Glauben geschenkt zu haben. Sie bereut gerade, dass sie es zuließ, mich beschneiden zu lassen, mich nicht beschützt zu haben.
Ich muss nun lernen, mit dem Schaden zu leben, vielleicht sogar irgendwann trotzdem glücklich zu werden oder bist zu meinem Tod zu leiden. Ich muss mit meinem Makel leben. Weil niemand da war, der sagte, dass die Beschneidung falsch ist.
Sehr geehrte Damen und Herren. Ich bitte Sie jetzt nicht darum, den einen oder den anderen Gesetzesentwurf zu unterstützen. Es ist anscheinend gelaufen. Die Täter haben vorerst wieder einmal gewonnen. Der alternative Gesetzesentwurf geht mir persönlich eigentlich nicht weit genug, aber als Kompromiss kann ich ihn zumindest mittragen, weil er uns Betroffenen die Würde zurückgibt, die uns der Regierungsentwurf definitiv nehmen wird.
Mein Blick geht in die Zukunft. Zum ersten Mal reden Menschen auch in Deutschland offen über ihre Probleme mit der Beschneidung. Es werden mehr, Tag für Tag. Die Täter werden sich rechtfertigen müssen. Keiner kann mehr behaupten, nichts gewusst zu haben. Die Diskussion wird weitergehen. Andere Länder werden mehr Mut haben.
Ich bin einer von vielen, die unter ihrer Beschneidung leiden. Bis heute. Jeden Tag.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.