Önder Özgeday

Önder Özgeday (35)
 
Bis zu meinem 10. Lebensjahr war ich ein fröhliches Kind. Ich liebte meine Eltern bedingungslos und genoss die Urlaube in der Heimat. Alles wäre so weiter gegangen, da meine Familie eine sehr liebevolle ist und unter anderen Umständen ein stabiles Fundament in mir errichtet hätte, so dass ich mich eben nicht so, wie es heute, 20 Jahre später ist, als ein Fremdkörper in eben dieser Familie, meiner Herkunftskultur und in der hiesigen Gesellschaft fühle. Nicht nur das. Das Problem sitzt viel tiefer. "Fremdkörper" ist in diesem Fälle etwas wörtlicher zu nehmen, denn ich fühlte mich seit meiner rituellen Genitalverstümmelung, die für mich ein kompletter Raub meines kindlichen Urvertrauens darstellte (Vertrauen an die Eltern, seiner Kultur, ja in Menschen!), nicht mehr Herr meines Körpers. Zudem war das was ich nun unten an mir hängen hatte nach meiner "demütigenden Mannwerdung" auch nicht mehr meines, sondern wie andere es haben wollten. Diese Fremdbestimmung und das zerstörte Urvertrauen zieht sich noch heute komplett durch mein Leben. Die Ohnmacht über das eigene Leben, der Hass auf den eigenen Körper. An diesem besagten Tag schlich sich ein bestimmtes Gefühl in mir ein: ich musste scheinbar bestraft werden, weil ich männlich war. Ich habe zwei Schwestern. Sie blieben unangetastet, doch ich wurde verletzt, musste ein Blutopfer bringen um mich als Mann zu beweisen und hinterher in eine prunkvolle Tracht gesteckt zu werden. Alle Menschen, die zu mir als Kind so besonders gut und liebevoll waren,  waren auf dieser manipulativen Beschneidungsfeier und feierten...meine Schmerzen, feierten den Eingriff in mein Intimstes. Stichwort: Urvertrauen.

 
Natürlich realisiert Man als Kind nur einen Teil, doch als ich in die Pubertät kam waren für mich Selbstmordgedanken auf die Tagesordnung. Ich konnte den Anblick meines Penis nicht ertragen. Ich sah Bilder vor meinem geistigen Auge. Wie der Mann sich instinktiv vor meinem Blut in acht nahm, welches ihm ins Gesicht spritzte...die Assistentin, in deren Augen ich sah dass ich ihr einfach leid tat und sie mich gerne gerettet hätte. Sie war Deutsche und somit nicht soweit hirngewaschen, das was da vor sich ging als elterliche Liebe zu betrachten.
Ja, ich war nur örtlich betäubt und erinnere mich an alles, und werde es auch nie vergessen.

 
In der Pubertät kamen die ersten Vergleiche mit Freunden. Da diese zumeist Türken waren, fiel mir zunächst "nur" auf, dass man sie besser beschnitten hatte als ich, denn bei mir war und ist alles stark vernarbt und verwachsen, da es sich mehrfach entzündete und Monate brauchte zur Heilung...tja die Risiken eben, wenn man der Natur ins Geschäft pfuscht.
Ich war damals sehr traurig und schockiert. Doch das eigentliche sollte noch kommen. Die Vergleiche mit deutschen und russischen Freunden waren aus offensichtlichen Gründen viel traumatischer für mich. Der gesamte Penis war eben keine vernarbte Trockenlandschaft, die an der Unterhose reibt. Das ganze sah aus wie ein lebendiges, funktionierendes Organ. Feucht, weich, rosafarben. Man sah ihm förmlich die Empfindlichkeit an. Ich verspürte eine unglaubliche Traurigkeit und Wut, die ich bis heute verspüre. Der Gedanke, dass man nie Sex haben wird, nicht wirklich nein… keinen vollständigen. Und was Masturbation angeht, da sieht es ja noch schlimmer aus. Irgendwie ging es ein paar Jahre weiter, doch dann brach es über mich hinein. Einst ein sehr guter Schüler wurde ich ich zum Problemkind. Ich wurde apathisch, hatte Angst vor Menschen, und da ich es mir zum Ziel gesetzt hatte, die türkische Sprache nicht mehr zu sprechen und Türken abzulehnen, wurde ich natürlich immer einsamer. Alles brach zusammen. Ich wusste, dass es Menschen im Rollstuhl gibt, die nicht mehr laufen können, Menschen die echte physische Einschränkungen erleiden und trotzdem glücklich sind. Doch mein Leiden war weder angeboren noch durch einen Unfall verursacht. Seit dem Moment meiner Geburt war klar, dass ich verstümmelt werden sollte. Ich war ein Mensch zweiter Klasse.

 
Überall liest man supersensible Dinge zum Thema Kindheitstrauma. Das Baby im Mutterleib bekommt jeglichen Stress der Mutter mit! Ein Kind, dass man schlägt, wird vielleicht ebenso gewalttätig werden. Sexueller Missbrauch an Mädchen ist böse. JA, natürlich ist das alles wahr -  aber eben auch, dass es ein körperlicher Übergriff IST und bleibt was hier an Jungen weltweit toleriert wird. Ich war ja nicht nur auf meine Herkunftskultur sauer. Sondern genauso auf die Biodeutschen, die vernebelt vor Toleranz und Nazikeulen-Angst wirklich jede Tradition und Sitte akzeptieren. Je exotischer die Tradition, desto toleranter muss man ihr gegenüber sein - Kulturrelativismus. Und dann kommt ja noch dazu, dass diese Prozedur auch eine urjüdische Angelegenheit ist: in der Öffentlichkeit mit Generalverdacht von Antisemitismus belegt, dazu überhaupt eine kritische Meinung zu haben.
Tja, ich fühlte mich von allen im Stich gelassen. In unserem Grundgesetz ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit verankert, genauso wie dass man nicht aufgrund seines Geschlechtes benachteiligt werden darf. Dies bedeutet, dass die Beschneidung eigentlich illegal ist und es die entsprechenden Gesetze bereits gibt. Aber wahrscheinlich treffen diese nur auf echte Menschen zu. Im alten Ägypten wurden die Sklaven beschnitten. In den USA als Präventivmaßnahme gegen Masturbation. Ich bin aber nicht religiös! Ich will masturbieren! Warum durfte man für mich entscheiden? In Deutschland darf ich doch jeden verklagen, dessen Hecke in meinen Garten rüberwächst.

 
Man wird sagen, ich sei ein Extremfall, dass es doch nicht jedem Beschnittenen so geht wie mir. Sicher nicht, aber möchten es Eltern riskieren? Es ist immer leichter an Informationen heranzukommen, und in unserer Wissensgesellschaft wird man zum Hinterfragen erzogen. Euren Kindern werdet ihr eine Antwort schuldig sein, und glaubt mir: "weil es alle tun" ist keine Antwort!
Ich habe Menschen weltweit gesprochen, die sterben wollten nachdem sie herausfanden was ihnen angetan wurde. WIR dürfen nicht schwach sein. Der Standard-Mann schafft nun einmal nicht zuzugeben, dass etwas mit seiner Sexualität nicht stimmen könnte. Das heißt nicht, dass wir nicht womöglich leiden. Wir wollen Anerkennung und keine Beschwichtigungen. Mir ist egal, ob es Frauen besser gefällt, oder dass doch jeder dritte Mann beschnitten ist. ICH habe nicht entscheiden dürfen. Das ist der Punkt.