Dänische Ministerpräsidentin Mette Fredriksen nimmt Forderung nach gleichem Schutz von Jungen zurück

Dänische Ministerpräsidentin Mette Fredriksen nimmt Forderung nach gleichem Schutz von Jungen zurück


In Dänemark überschlagen sich weiterhin die Ereignisse mit großem Medienecho um den Bürgervorschlag eines Mindestalters von 18 Jahren bei jeglichen nicht-therapeutischen Genitaloperationen.

 

Die Kommission der Patientensicherheit zur Überarbeitung von Richtlinien für nicht-therapeutische Vorhautamputationen an Jungen wurde von allen ärztlichen Fachgesellschaften verlassen. Sie lehnen aus ethischen Gründen solche Eingriffe bei Kindern ab und empfehlen oder fordern die Einführung des Mindestalters.
86% der Bevölkerung sprechen sich ebenfalls dafür aus.

Ministerpräsidentin Mette Fredriksen (Sozialdemokratie) hat vergangene Woche ihre ursprüngliche und häufig zitierte Kinderschutz-Position offiziell zurückgenommen und sich nun gegen ein Mindestalter ausgesprochen. Ein gewagtes Unterfangen, schließlich stellt sie sich damit auch noch gegen 90% ihrer eigenen Wähler*innen.
In ihrer Neujahransprache 2000 hatte sie zudem auch noch versichert, allgemein "immer an der Seite der Kinder" zu stehen. In ihrer jetzigen Stellungnahme war von Kindern überhaupt nicht mehr die Rede. Sie ging darin ausführlich auf die dänische und europäische Geschichte und den Massenmord an jüdischen Menschen im Zweiten Weltkrieg ein. "Glücklicherweise" habe sie "sich getraut", ihre "Meinung zu ändern".

In Analysen werden ansonsten die Rücksichtnahme auf jüdische Verbände, aktuelle wirtschaftliche Interessen (mögliche Exportverluste in den Nahen Osten) und die Sorge vor möglichen Terroranschlägen als Gründe genannt, sich gegen ein Mindestalter auszusprechen. Die US-Botschaft in Kopenhagen kündigte ebenfalls mögliche wirtschaftliche Konsequenzen an.

 

Die menschenpolitische Rolle rückwärts von Frau Fredriksen stieß in Israel auf ein geteiltes Echo. Während Ministerpräsident Netanyahu ihr via twitter für ihre „Verteidigung der alten Tradition der Beschneidung“ dankte, kommentierte Ronit Tamir von der israelischen Elterninitiative „KAHAL“: Es gibt viele Juden in Israel gegen Beschneidung, und wir schätzen sehr, dass das Dänische Parlament versucht, ein Gesetz dagegen zu verabschieden. Wir sehen dies nicht als Antisemitismus, sondern als reine Sorge um die Kinder und die Menschenrechte. Wir hoffen sehr, dass dieses Gesetz verabschiedet wird. "


Einige sozialdemokratische Kolleg*innen von Frau Fredriksen äußerten sich kritisch: "Als Mensch, Vater, Bürger von Dänemark und sozialdemokratischer Politiker hoffe ich inständig, dass in meiner Partei in dieser Angelegenheit abgestimmt wird und dass eine Mehrheit im Parlament das Richtige tut, indem sie eine Altersgrenze von 18 Jahren für Jungenbeschneidung einführt!" schrieb Niels E. Bjerrum.

 

Auch leidvoll Betroffene äußerten sich in dänischen Medien .

Ercan Alici, Betroffener und Mitglied unserer Partnerorganisation Intact Denmark, kommentierte:
"Als Kind auf dem Tisch wünschte ich mir nur, jemand hätte mir geholfen. Europas Geschichte scheint unendlich weit weg von der Realität des Kindes auf dem Tisch zu sein."

 

Ahmad Mahmoud nannte Frederiksens Versuch, ein Kinderbeschneidungsverbot mit der Verfolgung von Juden während des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen „absurd“, und ergänzte: „Nein, wir dürfen keine kulturellen oder religiösen Erwägungen akzeptieren, wenn es um die Beschneidung von Kindern geht. Es geht um das Wohl des Kindes und das Recht, sich frei zu finden und so die eigene Identität zu schaffen. Dafür haben wir in Dänemark gekämpft.“

 

Harun Demirtas sieht die Demokratie geschädigt: Politiker, die Tag und Nacht fragten, ob eine Krankenschwester arbeiten könne, nur weil sie ein Kopftuch trägt, oder ob ein Busfahrer einen Bus fahren könne, wenn er im Ramadan fastet, haben ihre politische Haltung heute zu 100 Prozent gedreht und befürworten die Beschneidung von Jungen, obwohl es ein religiöses Ritual ist.“

 

Einen erschütterten anonymen Bericht eines Betroffenen veröffentlichte die Tageszeitung Berlingske: Haben die Premierminister, Parteivorsitzende und Bischöfe jemals das Ergebnis einer gescheiterten Beschneidung, einen verstümmelten Penis, gesehen? Ich habe es. Ich sehe es jedes Mal, wenn ich aufs Klo gehe, nackt vor einem Spiegel stehe, dusche oder Sex habe. (…) Ich habe als Erwachsener vier Operationen benötigt, um einer im Grunde unnötige Intervention abzuhelfen. [...] Bis ich im Alter von 24 Jahren operiert wurde, konnte ich zum Beispiel aus drei verschiedenen Löchern in meinem Penis urinieren [...]. Wenn ich einen neuen Sexualpartner oder Freund treffe, muss ich immer erklären, warum mein Penis klare Narben trägt. (…) Politiker und Meinungsbildende, die mit historischem Pathos um sich werfen, müssen wissen, dass Beschneidung [...] ein chirurgischer Eingriff mit schwerwiegenden möglichen Folgen ist, und es hat mein ganzes Leben beeinflusst…"

Es verspricht, ein spannender Herbst zu werden. Die erste Lesung im Parlament wird frühestens im Oktober erwartet.

 

Allein der Fraktionszwang in den Regierungsparteien aus Sozialdemokraten und Liberalen sichert bisher den Gegnern des Kinderschutzes eine Mehrheit.

 

Dass deutsche Medien die Ereignisse in Dänemark seit über zwei Jahren komplett ignorieren, überrascht. Schließlich verwiesen sie in der deutschen Debatte 2012 sehr häufig aufs Ausland und warnten vor einem möglichen „deutschen Alleingang“, sollte eine Erlaubnis nicht-therapeutischer Vorhautamputationen an Jungen hinterfragt werden. Um eine völlige Schutzlosstellung von Jungen in Deutschland zu promoten, waren Blicke ins Ausland offensichtlich durchaus opportun. Verlaufen heute dort hingegen Debatten, die dem Kinderschutz medial und politisch großen Raum einräumen, wird geschwiegen. Sollen Menschen in Deutschland einfach nicht davon erfahren? Wohl ein ähnlicher Schaden für die demokratische Kultur, wie ihn Harun Demirtas durch einige Dänische Politiker*innen beschreibt.

 

Wir hoffen, dass in deutscher Sprache bald auch noch anderswo Informationen dazu zu lesen sind, als nur auf unserem Blog.

Wir können als Ehrenamtliche kaum auch noch die Arbeit professioneller Journalist*innen übernehmen.