Auf dem bekannten Portal eltern.de ist seit einiger Zeit der Artikel „Was Jungs-Eltern über Vorhautverengung wissen sollten“ von Frau Dr. Sandra Hermes zu lesen.
Leider finden sich darin Falschinformationen, die klar den aktuellen medizinischen Leitlinien widersprechen, sowie eine übergriffige Sprache.
Wir haben die Redaktion von eltern.de mehrfach darauf aufmerksam gemacht. Leider hat uns bis heute keine Reaktion erreicht.
Um den Schaden durch solche Fake-News für betroffene Kinder zumindest zu begrenzen, veröffentlichen wir nun unsere Kritik, in der Hoffnung, dass eltern.de dadurch endlich den Artikel vom Netz nimmt bzw. überarbeitet.
Hier nun die Kritikpunkte, die wir eltern.de mitgeteilt haben:
Leider weicht der Artikel in einigen wesentlichen Punkten von den gerade überarbeiteten Medizinischen Leitlinien "Phimose und Paraphimose" ab, bei denen wir als Betroffenenverband mitwirkten.
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/006-052l_S2k_Phimose-Paraphimose-Kinder-Jugendliche_2022-03_02.pdf
Dies betrifft besonders eine wissenschaftlich nicht haltbare Behauptung über die natürliche Entwicklung der Penisvorhaut:
"Unter den Dreijährigen haben nur noch etwa zehn Prozent eine Vorhautverengung, bei Siebenjährigen sind es noch etwa sieben Prozent."
Dazu fügen wir eine neue Graphik bei, die die Studienlage abbildet, und auch hier online zu finden ist:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c7/22-05-18_Retraktibilit%C3%A4t_5_Diagr_DE.jpg/420px-22-05-18_Retraktibilit%C3%A4t_5_Diagr_DE.jpg
Angesichts einer in Deutschland ca. 10 Mal so hohen Quote an offiziell medizinisch indizierten Vorhautamputationen im Kindesalter als nach Quellenlage zu erwarten sein müsste, ist die folgende Passage von Behauptungen im Artikel regelrecht fahrlässig:
"Lagen durch die Phimose bisher keine Beschwerden vor, kann theoretisch auch noch über das Vorschulalter hinaus weiter abgewartet werden. (...) Allerdings ist bis zum Ende der Grundschulzeit noch ein guter Zeitpunkt, das Kind einem Arzt vorzustellen. Denn hat die Pubertät erst einmal eingesetzt, ist es dem Jugendlichen viel unangenehmer, einem Fremden seine Genitalien zu zeigen und eine eventuell notwendige Behandlung über sich ergehen zu lassen."
Den gravierendsten Eingriff in die Genitale Selbstbestimmung und damit auch das größte Risiko für den Betroffenen stellt das Abschneiden der Penisvorhaut und der damit einhergehende lebenslange Verlust der sensibelsten Stelle am Penis dar, und nicht ein Abwarten, und damit eine hypothetisch "unangenehmere" spätere medizinische Untersuchung - im statistisch unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Enge bis dahin nicht gelöst haben sollte (siehe Graphiken).
"Hat sich die Phimose nicht von selbst gelöst und habt ihr euch dagegen entschieden, bis ins Jugendalter abzuwarten, ..."
Ein solcher Satz ist schlicht übergriffig. Es steht Eltern gar nicht zu, hier eine Entscheidung zu treffen: Sollten tatsächlich Beschwerden bestehen, ist es doch selbstverständlich, dass der Junge medizinisch behandelt wird (mit dem Ziel der Beschwerdefreiheit, was altersgemäß weder die volle Beweglichkeit der Vorhaut geschweige denn deren Abschneiden erfordern muss, worauf die neuen Leitlinien auch detailliert eingehen). Und sollten keine Beschwerden bestehen, haben Eltern ebenso wenig etwas "zu entscheiden": Keine Beschwerden - keine fremden Manipulationen am Penis des Jungen. Es ist sein Körper, das sollte einleuchtend sein.
Kinder- und Jugendärzt*innen in Deutschland beschäftigen sich ausführlich mit den genannten neuen Leitlinien. Hier ein Online-Gespräch "Beschneidung 2.0 - Was erwarten wir von der Leitlinie?" von Dr. Melanie Ahaus und Dr. Christoph Kupferschmid, der für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte - BVKJ in der Leitlinienkommission mitwirkte:
https://youtu.be/myxpWCn3lgM
Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diese Informationen an Frau Dr. Hermes weiterleiten könnten.
Ihr Medium halten wir für außerordentlich wichtig.
Immer wieder wenden sich Eltern an uns, die zu diesem Thema falsch oder unzureichend informiert worden sind, und zutiefst bereuen, vorschnell letztlich medizinisch nicht notwendigen irreversiblen Behandlungen zugestimmt zu haben.
Und immer wieder wenden sich Betroffene an uns, die an den Folgen dieser häufig medizinisch nicht gerechtfertigten radikalen Maßnahmen an ihrem Genital leiden.
Es liegt genug Wissen vor, dass dieses unnötige Leid vermieden und dem Intimbereich von Jungen und seiner individuellen Entwicklung entsprechender Respekt entgegen gebracht werden kann.
Bitte helfen Sie mit!
Gerne stehen wir für einen Austausch zur Verfügung.