Die taz schreibt über die aktuelle Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels: "Wer alles richtig macht, kriegt Keile."
Nein, auch Carolin Emcke ist keine Heilige. Sie ist ein Mensch. Und Menschen machen Fehler und selten "alles richtig".
Carolin Emcke schreibt und tut sehr viel Richtiges. Das zuerst.
Aber gerade in der Thematik sexuelle Selbstbestimmung, die wie kaum eine andere mit ihr in Verbindung gebracht und wofür sie große Anerkennung erfährt, hat sie in einem sehr wichtigen Punkt versagt. Einem Aspekt, der Menschen wie sie ganz besonders bräuchte: nämlich Menschen, die mutig gegen Tabus angehen, Brücken bauen und auch schwierige Themen reflektiert behandeln können.
Worum geht es?
In der Süddeutschen Zeitung diffamierte sie im Mai diesen Jahres jegliche Kritik an religiös motivierter Vorhautamputation an Jungen als antisemitisch. Pauschal. Egal von wem, egal mit welcher Begründung vorgetragen. Dass über 99% aller nicht-therapeutischen Vorhautamputationen an Jungen in Deutschland überhaupt nichts mit jüdischer Religion oder Kultur zu tun haben, davon steht in ihrem Kommentar nichts.
Und das tat Carolin Emcke paradoxerweise fast zeitgleich mit dem 7. Mai - dem "Weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung", an dem 40 Organisationen aus zehn Ländern für genitale Selbstbestimmung aller Kinder unabhängig vom Geschlecht demonstrierten. Als dazu in in Köln, Sydney, Washington, New York, Charleston und San Francisco Menschen verschiedenster Abstammung und sexueller Orientierungen, darunter z.B. Juden, Türken, Iraner, sich für unteilbare Kinderrechte aussprachen und von eigenem persönlichen Leid zeugten. Dass dies für die taz keinen Widerspruch auslöste, kann nicht überraschen. Verletzungen von Jungen werden dort ja schon seit Jahren tabuisiert und auch gerne einmal regelrecht verlacht ("In der Hose der anderen" Sonja Vogel, Mai 2015).
Carolin Emcke nun hatte mit niemandem der teilnehmenden Organisationen Kontakt aufgenommen, mit niemanden der negativ Betroffenen das Gespräch gesucht. Darunter sind Menschen, für die Menschenhass und Diskriminierung leider oft alles andere als Fremdworte sind.
Warum fiel sie diesen Menschen und ihrer Arbeit so in den Rücken?
Warum tätigte sie hier Aussagen, die ihrem gesamten übrigen Tun und Wirken - und im speziellen auch den in der taz zitierten Teilen ihrer Rede in Frankfurt - komplett widersprechen?
Ihren Einsatz als Homosexuelle und Publizistin als "pathetisch" zu bezeichnen, schreibt richtigerweise die taz, könne "nur, wer selbst noch nie aufgrund seiner sexuellen Orientierung um seine persönliche Sicherheit fürchten musste".
Der gesellschaftliche Debatte dafür, dass auch Jungen ein Recht zusteht, mit vollständigen Genitalien das Erwachsenalter erreichen zu können, jeglicher Kritik an der gesetzlich verankerten Schutzlosstellung von Jungen und damit auch der Arbeit von negativ Betroffenen pauschal Ressentiments und Intoleranz zu unterstellen - kann wohl nur eine Person, die nie im Traum darauf käme, ihre eigene ganz konkrete genitale Integrität könne je in Frage gestellt worden sein oder werden.
Carolin Emcke - und auch der taz - steht es weiterhin frei, sich zu informieren.
Der Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. wäre auch hier zu einem Gespräch bereit.
Und sicherlich auch alle anderen Organisationen und Verbände, die zum "Weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung" aufriefen.