Das Onlinemagazin Queer.de beschäftigte sich am vergangenen Montag in seiner Gesundheits-Rubrik mit dem Thema der männlichen Vorhautamputation. Unter der Überschrift "Gesünderer Sex durch Beschneidung?" findet man(n) dort einen Artikel, der auf den ersten Blick recht ausgewogen über das Für und Wider einer freiwilligen OP durch Erwachsene aufzuklären versucht. Dass uns das zu einem Kommentar nötigt, obwohl er sich an mündige Entscheidungsträger richtet, die ihren eigenen Körper modifizieren möchten, liegt wie so oft im Detail.
Denn auch wenn der Beitrag mit keiner Zeile eine solche OP an Kindern zu rechtfertigen versucht, so distanziert er sich nicht nur nicht von ihr, er untermauert sogar - wenn auch vermutlich ungewollt - viele der Scheinargumente der Befürworter von Kindesbeschneidungen.
Schon im ersten Absatz werden die ca. 15% beschnittenen Männer in Deutschland im Kontext mit Ästhetik erwähnt, was den falschen Eindruck erweckt, diese hätten sich alle aus persönlichen Gründen selber dafür entschieden. Leider dürfte diese Gruppe der Freiwilligen wohl in der Realität nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachen, denn der Löwenanteil der in Deutschland beschnittenen Männer wurde - und wird - als Kind aufgrund von vorschnellen und oftmals falschen Phimosediagnosen operiert - oftmals weil der Arzt weder um die Normalität von Verklebungen und entwicklungsbedingter Vorhautenge im Kindesalter noch um alternative Therapieformen für tatsächlich behandlungsbedürftige Fälle wusste. Ein Problem, dass auch dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte bekannt ist und von Dr. Kupferschmid auf unserem Kölner Symposium in aller Deutlichkeit thematisiert wurde. Eine weiterer, großer Teil der hierzulande von Vorhautamputationen Betroffenen wurde - ebenfalls im Kindesalter - aus religiösen oder traditionellen Gründen operiert.
Bei der Behandlung der Bedeutung der Vorhaut fällt dann folgender Absatz ins Auge:
Tatsächlich erschwert die Vorhaut die Hygiene – Hygiene ist allerdings die Grundvoraussetzung, um Infektionen oder Entzündungen vorzubeugen. Doch mal ehrlich – wer kümmert sich regelmäßig um die Reinigung unter der Vorhaut? Da scheint eine Beschneidung doch die perfekte Lösung zu sein.
Wir wissen zwar nicht, wie die Queer-Autoren es mit der persönlichen Hygiene halten, aber die Vorstellung, daß ein normaler Mann unter der Dusche den kurzen Handgriff zum Zurückziehen der Vorhaut als unangenehm oder gar als ein "Erschwernis" empfinden soll, mutet doch sehr seltsam an. Da liegt dann doch der Gedanke, diesen sensiblen und angenehme Gefühle erzeugenden Bereich stattdessen eher gerne zu reinigen unseres Erachtens nach erheblich näher. Ein bewusster Verzicht würde wohl weniger auf die Umständlichkeit der Handhabung als vielmehr auf eine generelle Unsauberkeit des betreffenden Mannes hindeuten. Schließlich muss auch ein Penis ohne Vorhaut gereinigt werden, einen nennenswerten "Mehraufwand" verursacht die Vorhaut also nicht.
Dennoch taucht dieses Argument mit erstaunlicher Beharrlichkeit immer wieder auf, und wird auch und grade im Kontext der Kindesbeschneidung zur Rechtfertigung herangezogen. Ein zweischneidiges Schwert übrigens, denn all diese angeblichen Hygienevorteile lassen sich nicht nur auch für die weibliche Variante anführen, sie werden auch dort immer wieder von ihren Befürwortern ins Feld geschickt.
Auch die weiteren Gesundheitsargumente stehen auf ähnlich wackeligen Beinen. So wird, wie in der Mainstreampresse, die angebliche HIV-Prävention von 60% gepriesen - auch wenn die Studien, die dieser Zahl zugrunde liegen, in der Fachwelt seit ihrem Erscheinen unter scharfer Kritik stehen. Verhängnisvollerweise bleibt leider unerwähnt, dass sich die Studien ausschließlich auf ungeschützten Geschlechtsverkehr beziehen, und auch nur auf die Übertragung von infizierten Frauen auf gesunde Männer. Beim Safer Sex spielt der Beschneidungsstatus dagegen keinerlei Rolle - das Gummi schützt nicht nur erheblich besser, sondern auch intakte und vorhautlose Penisse gleichermaßen effektiv. Immerhin ist der Autor der Propaganda hier nicht vollends auf den Leim gegangen - führt er im Anschluss doch ganz richtig an:
Demnach gibt es in Deutschland – einem Land, in dem Beschneidungen nicht gerade ein Trend sind -, weitaus weniger Infektionen mit den genannten Geschlechtskrankheiten als in den USA, wo die Beschneidung zeitweise sogar zur medizinischen Erstversorgung von Säuglingen gehörte.
Er schließt das Kapitel dann auch folgerichtig mit dem Satz:
Generell gilt: Mit einer gründlichen und regelmäßigen Reinigung des Penis, eben auch unter der Vorhaut, können auch unbeschnittene Männer ihr Infektionsrisiko deutlich senken.
An sich eine Binsenweisheit: wer sich nicht wäscht, geht ein gesundheitliches Risiko ein - und zwar überall, nicht nur unter der Vorhaut.
Doch neben Kritik gibt es auch Lob zu verteilen, denn im Abschluss werden die - für einige Männer gravierenden - Gefühlsverluste nach dieser OP durchaus thematisiert, wenn auch mit dem Argument des "länger können", auch wenn das in der Praxis für die Betroffenen oft ein "länger müssen" bedeutet.
Unterm Strich wird diese Operation hier in ein all zu undifferenziertes positives Licht gestellt, was den Befürwortern von Zwangsbeschneidungen an Kindern - also einer Menschenrechtsverletzung - Rückenwind gibt. Der Artikel weckt trotz seiner Argumente für und gegen die OP doch den falschen Eindruck, man täte seinem Sohn damit etwas Gutes - oder zumindest nichts Schlechtes.
Ein klares Bekenntnis, dass Vorhautamputationen ohne strenge medizinische Indikation nur in mündiger und informierter Einwilligung der Person erfolgen dürften, die allein den Eingriff erdulden und lebenslang mit den Folgen leben muss, wäre angesichts der beschriebenen gesellschaftlichen Realitäten für betroffene Jungen und Männer auch an dieser Stelle wünschenswert und notwendig gewesen.