Sauber und Schmerzlos - Mein langer Weg vom Befürworter zum Gegner der Beschneidung

[Ursprünglich erschienen auf: http://mogis-und-freunde.de/blog/sauber-und-schmerzlos-mein-langer-weg-vom-befuerworter-zum-gegner-der-beschneidung/]

von Werner E.

Ich wurde im Alter von ca. 8 Jahren wegen einer Vorhautverengung komplett beschnitten.

Wenn ich heute an meine Beschneidung zurückdenke, erinnere ich mich nicht an körperliche Schmerzen. Sie wurde ja sauber und nach den Regeln der ärztlichen Kunst in einer Klinik durchgeführt. Die psychischen Schmerzen und Probleme kamen erst später.

Meinen Eltern mache ich keinen Vorwurf, sie handelten damals in gutem Glauben, da mein Kinderarzt die Operation als unbedingt nötig erachtete. Es galt nun mal die Regel, dass eine männliche Vorhaut bis zum Schuleintritt vollständig zurückziehbar sein musste. Und meine war es eben nicht. Und da ich nicht geradeaus pinkeln konnte sondern nur zur Seite, war das „Heilmittel“ klar:
Beschneidung. Im Jahre 1980 war die komplette Beschneidung offensichtlich das einzige Mittel der Wahl. Es würde ja nur ein kleiner Eingriff sein ohne irgendwelche negativen Folgen, also hörten sie natürlich auf den Halbgott in Weiß.

Von der Operation und auch der Zeit danach weiß ich nur noch sehr wenig. Am deutlichsten in Erinnerung ist mir, wie ich im Krankenbett liege, mit einem dicken Verbandring um meinen Penis.

In der ersten Zeit danach war ich furchtbar gehemmt. Ich schämte mich, fühle mich als Aussenseiter. Ich weigerte mich, mich nach dem Sport mit den anderen zu duschen, da ich ja ein Monster war mit einem Penis, der nicht wie ein Penis aussah. Dazu kamen die schrecklichen, wulstigen Narben und lange Zeit das unangenehme Gefühl, wenn mein Penis in der Unterwäsche rieb. Erst langsam ließ das nach und ich beruhigte mich.

Als ich in die Pubertät kam und begann mich für Sexualität zu interessieren, las ich natürlich auch die Aufklärungsseiten der Jugendmagazine. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie oft dort davon gesprochen wurde, wie schön und hygienisch ein beschnittener Penis doch sei und wie ausdauernd beschnittene Männer beim Sex sind. All dies habe geglaubt und auch jahrelang selbst behauptet. Ich war stolz auf meinen beschnittenen Penis und darauf, wie „standfest“ ich doch war. Doch dies alles war nur die halbe Wahrheit.

Bei meiner Beschneidung wurde die komplette Vorhaut und damit alles sensitive Gewebe an deren Innenseite amputiert. Da die Eichel durch den Eingriff nun frei lag, wurde sie durch die ständigen Reizungen der Unterwäsche und die starken Reize durch Masturbation mit der Hand immer stärker verhornt und dadurch unempfindlicher. Verhornt bedeutet jetzt natürlich nicht, dass meine Eichel aussieht wie anderer Leute Ferse. Aber die Eichelhaut ist trocken, viel dicker und oft auch rissig. Aber keinesfalls ist sie mehr das, was sie bei einem gesunden Penis ist: Zart, feucht und empfindsam.

Meine eigene Sexualität war von je her geprägt von Enttäuschungen. Enttäuschung darüber, dass die Gefühle, die ich dabei hatte, nicht so intensiv waren, wie ich darüber gelesen hatte, wie sie mir von Freunden beschrieben wurden und wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich war enttäuscht darüber, dass Masturbation sehr lange dauerte und – weil sie oft so lange dauerte – auch schmerzhaft war, darüber, dass es meinen Partnerinnen nur selten gelang, mich oral, mit der Hand oder auch beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt zu bringen.

Geschlechtsverkehr endete oft in der Bitte meiner Partnerinnen, ich möge doch bald zum Ende kommen, da sie selbst langsam Schmerzen hätten. Ich selbst begann in diesen Momenten meistens erst, intensive Gefühle zu entwickeln.

Die Schuld für all das schob ich aus Unwissenheit lange Zeit auf die jeweiligen Frauen, hielt sie für frigide oder unterstellte ihnen einfach „es nicht zu können“. Erst seit kurzem ist mir klar, wie sehr ich doch im Unrecht war.

Vor allem bei der Selbstbefriedigung benötigte ich im Lauf der Zeit immer intensivere Stimulation, da der Moment, in dem ich in meinem Penis angenehme Gefühle spürte, immer später einsetzte.

Als der Drang einen sexuellen „Kick“ zu erleben in mehrere Seitensprünge gipfelte, war auch meine Ehe beinahe kaputt. Inzwischen haben wir es geschafft, unsere Ehe zu retten und darüber bin ich meiner Frau unsagbar dankbar.

Meine Beschneidung hat mir einen großen Teil meiner Sexualität für immer genommen. Das belastet nicht nur mich sehr stark sondern natürlich auch meine Frau, die sehr darunter leidet, dass Sie mir nicht das geben kann, was ich mir wünsche.

Mein Weg vom Befürworter zum Gegner der Beschneidung war lang. Als vor 5 Jahren bei meinem Sohn eine beschwerdefreie (eine sogenannte physiologische) Phimose festgestellt wurde, hätte ich aufgrund meines Glaubens um die angeblichen Vorteile sofort einer Beschneidung zugestimmt. Ich hätte ihm die "bessere Ästhetik" und die "größere Ausdauer" gerne gegönnt. So konnte ich zunächst gar nicht verstehen, warum meine Frau sich dagegen wehrte und sich weigerte, der Beschneidung zuzustimmen. Bisher hatte ich immer gedacht, sie wäre von meinem "verbessertem" Penis ebenso überzeugt, wie ich - doch dem war nicht so.

Sie ging statt dessen zu einer Kinderurologin, um sich eine zweite Meinung einzuholen. Als diese meinen Sohn und seine harmlose Phimose sah, war sie regelrecht erschrocken über die Leichtfertigkeit, mit der unser Kinderarzt unseren Sohn hätte beschneiden wollen. Sie erklärte meiner Frau die Nachteile des Eingriffs und machte ihr deutlich, dass eine Beschneidung immer nur das letzte Mittel sein dürfe. Sie verschrieb meinem Sohn eine kortisonhaltige Salbe, die wir die nächste Zeit regelmäßig anwendeten. Nach kurzer Zeit war das Problem beseitigt und die Vorhaut komplett beweglich.

Später versuchte ich meinem Sohn beizubringen, wie er sich richtig waschen sollte. Die Art und Weise wie ich mich gewaschen habe und es meinem Sohn auch beizubringen versuchte war für ihn äußerst unangenehm. Doch noch verstand ich nicht, warum er sich so hatte. Ich hatte ihm wehgetan, ohne es zu wollen und zu verstehen.

Ein wirkliches Schlüsselerlebnis hatte ich ca. zwei Jahre später. Ich hatte inzwischen in diversen Internetforen gelesen, dass die Haut einer beschnittene Eichel mit der Zeit immer dicker wird und dadurch das Empfindungsvermögen abstumpft. Also versuchte ich, mit Gesichtspeeling der überflüssigen Hornhaut zu Leibe zu rücken. Dabei verspürte ich keinen Schmerz, nicht einmal unangenehme Gefühle - alles was ich spürte war das Reiben der Körnchen.

Da begriff ich langsam, was ich durch meine Vorhautamputation wirklich verloren hatte und war schockiert. Was für mich mein Leben lang normal gewesen war, war in Wirklichkeit nur noch ein stumpfes "Restempfinden". Ich hatte an meinem Oberarm mehr Gefühl als an meiner eigentlich empfindlichsten Stelle.

Für mich persönlich habe ich inzwischen eine Lösung gefunden. Sie besteht aus Latexüberzügen, die ich als Vorhautersatz benutze.
Der erste Oralsex, nachdem ich diese Hilfen etwa zwei Wochen lang getragen hatte, war unbeschreiblich intensiv. Nie zuvor hatte ich etwas Derartiges gefühlt. Ich muss seitdem nicht mehr krampfhaft darauf „hinarbeiten“, möglichst schnell zu kommen, sondern kann mich fallenlassen. Das ist etwas, was ich niemals zuvor konnte, ich kann es genießen, mit meiner Frau zu schlafen. Und das, obwohl ich noch immer nur einen kleinen Teil dessen spüren kann, was ein intakter Mann fühlt.

Eine Beschneidung minderjähriger Kinder oder gar Säuglinge ohne medizinische Indikation, stellt für mich eindeutig einen Akt der Körperverletzung und Missbrauch Schutzbefohlener dar, sei sie nun aus religiösen, traditionellen, oder anderen, nicht medizinischen Motiven heraus passiert.

In vielen Postings auf diversen Internetforen schreiben Mütter, dass sie ihre Söhne schon im frühesten Kindesalter „stramm und hoch“ beschneiden lassen, weil es so ästhetisch sei oder gar, weil es die Masturbation in der Jugend verhindern könne. Eine solche Einstellung ist wie ich finde zutiefst verachtenswert, verletzt sie doch grob die Menschenwürde der Kinder. Auch solchen Absichten wird mit dem vorgestellten Gesetzentwurf des BMJ nun Tür und Tor geöffnet.

Die Diskussion um rituelle Beschneidungen, die nun im Gang ist, wäre so wichtig, wenn sie denn vernünftig geführt würde. Aber viele der Befürworter lassen eine echte Diskussion überhaupt nicht zu und würgen sie ab mit Erpressung („dann müssen die Juden aus Deutschland verschwinden“) oder mit unhaltbaren Naziargumenten. Das Wichtigste, die Kinder, bleiben außen vor.

Es wäre gerecht gewesen, in der Anhörung im Justizministerium Männer zu Wort kommen zu lassen, die die Verletzungen, die sie durch ihre Beschneidung erlitten haben erkannt haben und sie ansprechen. Männer die unter dem ihnen aufgezwungenen Zustand leiden und die mit diesem Gesetzentwurf verhöhnt werden.

Dass man sie damals ausgesperrt hat, ist - wenn man die Art, wie dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist berücksichtigt - jedoch leider nur konsequent.