Serap Güler, die CDU und die Selbstbestimmungsrechte des Kindes

Frau Güler, Staatssekretärin im Integrationsministerium von Nordrhein-Westfalen, äußert sich momentan sehr deutlich zum Thema Kopftuch bei Mädchen, und argumentiert hier u.a. mit dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes und mittels drastischem Vokabular:

"Erst erwachsene Frauen können selbstbestimmt entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollten. Sieben- oder Achtjährige würden oft subtil von ihrer Familie dazu gedrängt. Einem jungen Mädchen ein Kopftuch überzustülpen, ist pure Perversion. Das sexualisiert das Kind. Dagegen müssen wir klar Position beziehen."

 
Das erstaunt uns doch einigermaßen, da sich Frau Güler mit dem Selbstbestimmungsrecht von Jungen durchaus schwer tat und dabei auch negativ Betroffene offen verhöhnte: Memet Kilic, damals grüner Bundestagsabgeordneter, hatte sich 2012 in den Medien zu seinem eigenen Beschneidungserlebnis als Kind geäußert und plädierte für die Kompromisslösung einer gesetzlichen Erlaubnis ab 14 Jahren.
Darauf Frau Güler 2013:


"Hingegen nicht vergessen werden darf, dass die Beschneidungsdebatte im Bundestag von den Grünen mit absurden Forderungen ("Beschneidung erst mit 14") eher torpediert, als unterstützt wurde. Das von Schwarz-Gelb vorgelegte und vom Bundestag mit Mehrheit verabschiedete Gesetz ermöglicht auch in Zukunft die muslimische und jüdische Beschneidung in Deutschland. Die Grünen "glänzten" bei der Abstimmung entweder mit Enthaltung oder gar Ablehnung. Zu den Letzteren gehörte auch der migrationspolitische Sprecher Memet Kilic, der mit dieser Haltung eigentlich nur offenlegte, keinen Schimmer davon zu haben, was die Migranten bewegt."


Soso. Im Gegensatz zu der mit Sicherheit mit vollständigen Genitalien lebenden Serap Güler hat der beschneidungsbetroffene Memet Kilic also "keinen Schimmer" vom Thema Vorhautamputationen an Jungen und den Erfahrungen damit unter Migranten.

Er hat "gar" befürwortet, dass Jungen in einem späteren Alter über ihr Genital selbst entscheiden dürfen und diese eigene Entscheidung gesetzlich geschützt wird.

Wenn man so etwas liest, muss man - zugegeben - erst einmal tief Luft holen.

 

Das tat auch Tayfun Aksoy, Köln, Mitglied des Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V., und schrieb Frau Güler damals folgende Mail, auf die er nie eine Antwort - geschweige denn die angebrachte Entschuldigung - erhielt:

"Serap Güler, ich fühle mich von Ihnen beleidigt: Beschneidung ist das, woran ich seit meiner Pubertät bis zum heutigen Tage, und ich bin jetzt 36, leide. Ich will mich hier nicht ausheulen, aber ich hatte schwerwiegende psychische Symptome, wonach nun noch die Körperlichen übriggeblieben sind. Mein Name ist Tayfun Aksoy, und Sie glauben doch wohl nicht im Ernst dass sich ihre "Migranten" und eigentlich sollte es heißen: Familien mit Migrationshintergrund, freiwillig ins Rampenlicht stellen um von sexuellen Einschränkungen zu reden. Die Art von Religion die ich mit meinem muslimischen Background kennengelernt habe kommt ohne sexuelle Tabuisierung nicht aus. Ich bin Impotent. Beschneidung ist eine solche tiefgreifende sexuelle Wahrnehmungsveränderung und dazu auch noch irreversibel, dass ich es eine Unverschämtheit finde, dass sie den hart und gut gemeinten Kompromiss der Beschneidung ab 14 so unkritisch durch den Kakao ziehen. Beschneidung sollte erst ab 18 erlaubt sein, egal ob Mann oder Frau, und dafür steh ich ein! Wie würden Sie es denn empfinden, wenn sie im Kindesalter einem Trend erlegen wären, dem USA Trend der Schamlippenverkleinerung? Das wollen sie doch sicherlich selber entscheiden, und zwar ist das da auch richtig es ab 18 zuzulassen. Oder sollen wir jetzt zwecks Gleichberechtigung zwischen Jungen und Mädchen auch die Schamlippenverkleinerung bei kleinen Mädchen im Elternrecht regeln und straffrei stellen? Einige Arten der Mädchenbeschneidung würden einigen Ägyptischen "Migranten" genehm sein, wollen Sie die etwa auch bedienen oder lassen sie die einfach außen vor? Hochachtungsvoll Tayfun Aksoy –Köln – Beschneidung ab 18."

Frau Güler ist 2017 zudem in einem persönlichen Anschreiben zu der Fachtagung "Jungenbeschneidung in Deutschland" an der Universität Düsseldorf eingeladen worden. Auch darauf gab es unseres Wissens nach keine Reaktion von Frau Güler. Dabei hätte sie sich auf dieser Fachtagung auf aktuellem Stand informieren können.

Die Thematisierung der Selbstbestimmungsrechte von Kindern wird von der CDU wohl weiterhin nur in bestimmten Kontexten gestattet. Frau Güler gibt sich offensichtlich gerne dafür her. So kann man eben in Deutschland gut Karriere machen. Um die Kinder selbst scheint es nie zu gehen. Sonst würden ihre Rechte nicht nur derart selektiv und widersprüchlich angesprochen. Dabei werden dann auch gerne einmal ganze Teile der Bevölkerung für "pervers" erklärt und so Hate Speech à la AfD bedient.

MOGiS e.V. distanziert sich mit aller Schärfe von derartigen Vorgehen.

 

Respekt heißt: die Unteilbarkeit von Menschenrechten grundsätzlich zu betonen.
Respekt heißt: nicht dann die Augen fest zuzukneifen, wenn ungewohnte, unbequeme Wege zu gehen sind.
Respekt heißt, keine Ressentiments gegen Bevölkerungsgruppen zu schüren, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

 

Da Frau Güler ja bisher nicht auf persönliche Anschreiben antwortet, laden die Beschneidungsbetroffenen im MOGiS e.V., besonders diejenigen mit Migrationshintergrund, sie auf diesem Wege zu einem Dialog und dem Überdenken ihrer Äußerungen von 2013 ein. Treffen wir uns am 7. Mai, dem Weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung, um 12 Uhr auf dem Wallrafplatz in Köln?