Mit großem Interesse haben wir die von der AG Säkulare Organisationen in Hessen formulierten Wahlprüftsteine und die Antworten darauf zur Kenntnis genommen.
Am Rande: Warum interessieren sich in Deutschland eigentlich nur säkulare Wahlprüfsteine für Kinderrechte? Welche Rückschlüsse sind daraus zu ziehen?
Der Wahlprüfstein 9 beschreibt zutreffend die aktuellen medizinischen Forschungsstand zum Thema Vorhautamputation an Jungen, wie er in der neuen Leitlinie von sechs Fachgesellschaften vorliegt.
Die schließliche Frage lautet:
„Befürworten Sie es, dass sich vor diesem Hintergrund die Hessische Landesregierung über eine Initiative im Bundesrat für eine Evaluierung und gegebenenfalls Änderung des § 1631 d BGB („Beschneidung des männlichen Kindes“) einsetzt?
Die CDU antwortet mit nur einem Satz. Der Stellenwert von Kinderrechten in dieser Partei besteht wohl darin, sich überhaupt nicht damit zu beschäftigen. Sozusagen eine Totalverweigerung, Verantwortung zu übernehmen für ein Gesetz, das man selbst entscheidend zu verantworten hat, und das jeden Tag konkret an Kindern exerziert wird.
DIE LINKE möchte eine Diskussion zum Thema weiterführen, solange sie nicht religiöse Interessen tangiere. Eine merkwürdige Einschränkung bei Menschenrechten, die eher einem Gottesstaat würdig wäre. Aber man ist in Deutschland ja bescheiden geworden: Eine Beschäftigung auf politischer Ebene überhaupt erst einmal nur mit den medizinischen Fakten und dem dokumentierten Leid von Betroffenen wäre ja wirklich zumindest ein Anfang. Worin bestanden denn solche Beiträge der LINKEN seit 2012? Wo sind die Angebote für die Zukunft? Wir sind gespannt.
Die SPD nimmt in ihrer Antwort Bezug auf ein Urteil des Landgerichtes Hamm von 2013. Darin gingen die Richter*innen von einer Kindeswohlgefährdung aus, da der Junge nicht hinreichend über die bevorstehende Genitalverstümmelung aufgeklärt worden sei, und watschten die aus Afrika stammende Mutter mit Argumenten ab, die in der Debatte 2012 noch als für Muslime und Juden unzumutbar hoch gehalten wurde. Nachträglich gar eine Form positiven Rassismus? Freilich verschweigt die SPD, dass es überhaupt nur zu dem Verfahren gekommen war, weil sich die Eltern in dieser Frage uneinig gewesen waren. Bei beidseitigem Einverständnis der Eltern wäre der Junge – wie vom Gesetzgeber ja beabsichtigt – komplett ohne jeden Schutz gewesen. Insofern drückt sich die hessiche SPD hier um eine grundsätzliche Beschäftigung mit den Folgen der aktuellen Gesetzgebung.
Die AfD beansprucht für sich ja, angeblich „mutig die Wahrheit“ auszusprechen. Geht es um Genitalverstümmelung und um Rechte von Jungen, fällt dieser „Mut“ zusammen wie ein Kartenhaus. Nun, wer glaubt, Rechtspopulismus interessiere sich für Verletzbarkeit von Jungen und Menschenrechte, glaubt wohl auch an den Osterhasen.
Für die FDP(!) ist eine „Begegnung zwischen Gott und Mensch“ gesetzesweisend. Man reibt sich ungläubig die Augen über das vorgebrachte Rechtsverständnis einer angeblich „liberalen“ Partei. Auch die Erfindung von Begriffen („medizinische Vorbereitung“) erstaunt. Sie begrüßen frei erlaubte Genitalverstümmelung an Jungen als eine „Stärkung des elterlichen Erziehungsrechtes.“ Die FDP stramm auf Kurs in Richtung religiösen Kollektivismus?
Die Krone in Heuchelei verdienen sich DIE GRÜNEN: Sie geben den Gesetzestext objektiv falsch wieder, bedienen den Mythos, der Schutzlosstellung von Jungen gegen Genitalverstümmelung läge „ein Ausgleich zwischen Interessen“ zugrunde, täuschen die Öffentlichkeit über die nachweisbar ergebnisorientiert verlaufende parlamentarische Debatte und versuchen gar zu suggerieren, die Folgen von Vorhautamputationen für das Sexualempfinden hätten im Gesetzgebungsprozess eine Rolle gespielt. Sie möchten das Gesetz nicht "schon wieder" in Frage stellen. "Schon wieder"? Seitdem sind mehrere Tausend Jungen mit Komplikationen stationär behandelt worden. Letztes Jahr ist ein Junge ist fast gestorben. Immer mehr Männer berichten über Spätfolgen. Prozesse gegen Fälle weiblicher Genitalverstümmelung scheitern weltweit am Gleichbehandlungsgebot der Geschlechter. Aber die hessischen Grünen wollen nicht "schon wieder" darüber sprechen. Was ist nur aus einer angeblichen "Menschenrechtspartei" geworden?
Einzig die Partei der Humanisten stellt sich hinter das völlig Selbstverständliche und fordert die Rücknahme von §1631d BGB.
Was sollen von Gewalt und Missbrauch Betroffene, Menschen, die sich mühsam von patriarchalen Geschlechterkorsetten befreien, die die Folgen der Tabuisierung dieses Themenkomplexes jeden Tag an sich selbst ertragen müssen – von dieser Parteienlandschaft halten?
Was all die Menschen, die mit ihnen solidarisch und für einen friedlichen Dialog ohne Scheuklappen einstehen?
Was die Mediziner*innen, die sich für eine faktenbasierte Aufklärung einsetzen – tagtäglich in ihrer Begegnung mit Menschen in aller Diversität, wie sie in unserem Land besteht?
Welche Gefahren entstehen so für eine Demokratie, von der sich die Menschen zunehmend abwenden?